Prof. Dr. phil. Reinhard Markowetz
Integration ist Ziel und Weg zugleich!
So der programmatische Ausruf einer Reformbewegung, die im Nachgang des Gutachtens des Deutschen Bildungsrates vom Oktober 1973 gerade in Baden-Württemberg nie wirklich Fuß fassen wollte. Als jemand, der Anfang der 90er Jahre den 1. Modellversuch des Landes Baden-Württemberg zur vorschulischen Integration behinderter Kinder in der Kita Kuhweide in Weinheim an der Bergstraße wissenschaftlich begleitet hat und seitdem die schul- und bildungspolitischen Entwicklungen in Baden-Württemberg sehr aufmerksam verfolgt, weiß ich darum, wie steinig und schwer die Wege und schmal die politisch bejahten Pfade der gemeinsamen Erziehung, Bildung und Förderung von Menschen mit und ohne Behinderung in diesem Bundesland sind. Dank und Respekt gebührt deshalb den Kolleginnen und Kollegen der Waldorfschule in Emmendingen, die dieses Ziel, als "Grundrecht im Zusammenleben der Menschen" und "Gemeinsamkeit von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Lebensbereichen der Gesellschaft", wie das der mir unvergessene Nestor der Integrationsbewegung und seinerzeit Vorsitzende des Deutschen Bildungsrates Jakob Muth (1927-1993) fundamental betonte, nie aus den Augen verloren haben. Stattdessen mit großem Engagement, bewundernswerter Beharrlichkeit, fachlicher Kompetenz und letzter Konsequenz dieses demokratische Gebot und Menschenrecht in Emmendingen zu entfalten wussten, heute praktisch leben und ohne wenn und aber nach Innen wie Außen verteidigen. Dies schon lange bevor die New Yorker Deklaration der Vereinten Nationen die Rechte von Menschen mit Behinderungen neu stärkt und vor dem Hintergrund des in Artikel 24 formulierten Rechts auf "Inclusive Education" nachhaltig zu gemeinsamer Unterrichtung in den Schulen der Länder, die diese Konvention unterschrieben und in nationales Recht überführt haben, darunter auch Deutschland aufruft.
Ohne die zurückliegenden Jahre das Integrativen Schulentwicklungsprojektes in Emmendingen wissenschaftlich begleitet und evaluiert zu haben, vertraue ich meinen persönlichen, vor Ort bei Besuchen und Gesprächen gewonnen Eindrücken, aber auch den Stimmen und Rückmeldungen von Kolleginnen und Kollegen, meinen Studentinnen und Studenten, die in Emmendingen zu Gast waren, dort hospitiert, ihr Praxissemester absolviert und "Inclusive Education" studiert haben. Die Integrative Waldorfschule hat die Förderung eines jeden Menschen als Aufgabe und große Herausforderung angenommen. Heute bewältigt sie die Heterogenität im Unterricht und beweist sich als ein lebendiger Ort des Lehrens und Lernens mit verlässlichen Kontakten, die entscheidend dazu beitragen, dass bestehende Vorurteil gegenüber Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen, Lernschwierigkeiten und Benachteiligungen abgebaut werden und Solidarität, Toleranz und gegenseitiges Vertrauen die Teilhabe aller garantieren, die dieses Bildungshaus besuchen.
Der Emmendinger Schulversuch braucht den Versuchsstatus nicht mehr. Längst ist er selbst Modell für Schulentwicklung und guten Unterricht für alle, stellt die Wirksamkeit einer Schule für alle unter Beweis und kann insbesondere aufzeigen, dass Inklusion dann keine gesellschaftliche Utopie bleiben muss, wenn es als Leitbild ein konkretes Arbeits- und Schulentwicklungsprogramm bestimmt, das sich lohnt bildungspolitisch zu unterstützen statt zu behindern. Deshalb wünsche ich der Integrativen Waldorfschule in Emmendingen, dass sie stark bleibt und ihr Profil einer Schule für Alle, wie es der im Jahr 2000 auf dem Weltbildungsforum der Vereinten Nationen in Dakar/Senegal verabschiedete Aktionsplan "Bildung für alle" vorsieht, konsequent ausbaut!
Prof. Dr. Reinhard Markowetz, Real- und Sonderschullehrer, Diplompädagoge, Professor und Studiengansgleiter Heilpädagogik/Inclusive Education an der Katholischen Fachhochschule Freiburg i.Br.
Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: "Bildung für Alle", gemeinsame Erziehung, Bildung und Förderung von Menschen mit und ohne Behinderung in Kindergarten, Schule, an der Schnittstelle von Schule und Beruf, in der beruflichen Bildung, Erwachsenenbildung, Freizeit, im Lebensbereich Wohnen und im Alter; Entwicklungsprojekte: Bildung für alle bis 2015 in Burkina Faso (Westafrika) und in Palästina (Westbank-Gaza).
Prof. Dr. phil. Reinhard Markowetz,
Studiengangsleiter BA Heilpädagogik Katholische Fachhochschule Freiburg, Hochschule für Sozialwesen, Religionspädagogik und Pflege.