Bildung braucht Beziehung

Die Gestaltung gelingender Beziehungen als zentrale Lebensaufgabe:

Ein Expertengespräch mit Prof. Dr. Joachim Bauer und Henning Kullak-Ublick (BdFWDS).

Anerkennung, Zugewandtheit und Vertrauen sind der neurobiologische Treibstoff der Motivationssysteme und gleichzeitig auch wichtigste Komponenten zwischenmenschlicher Beziehung.  Denn Kinder und Jugendliche sehen, verstehen und spiegeln, so Prof. Bauer in seinem einleitenden Vortrag.

Hochkarätig besetzt war das Expertengespräch „Bildung braucht Beziehung“, zu dem die Waldorfschule im Rahmen ihres 20-jährigen Bestehens am Freitag, den 27. November 2015, in die Steinhalle Emmendingen eingeladen hatte. Im Gespräch waren Prof. Dr. Joachim Bauer, Unikliniken Freiburg, und der langjährige Waldorfpädagoge Henning Kullak-Ublick. Gelingende Beziehungen und der pädagogische Auftrag zwischen Empathie und Führung waren die Leitthemen.

„Alle Forschungsdaten zeigen übereinstimmend, dass sich dort, wo Menschen keine hinreichende soziale Akzeptanz erleben, das Risiko für seelische und körperliche Erkrankungen erhöht. Gute Beziehungen werden dem Menschen nicht auf dem Tablett serviert. Das Leben ist ein permanenter Suchprozess nach Wegen, wie wir soziale Beziehungen gestalten können. Diesen Suchprozess geht jeder einzelne Mensch, er beginnt in der Kindheit. Kinder suchen ihre Umgebung nach Beziehungsangeboten ab. Wir sollten uns bewusst machen und verinnerlichen, dass die Gestaltung guter Beziehungen eine zentrale Lebensaufgabe ist. Dies betrifft nicht nur das private Umfeld, sondern auch die Schulen und vor allem auch den Arbeitsplatz.“ so Prof. Joachim Bauer weiter. Der Praxis-Experte Henning Kullak-Ublick kam im Anschluss mit Prof. Bauer nach dessen einleitendem Vortrag darüber ins Gespräch.

 

Veröffentlichungen und Vita der beiden "Experten":

Prof. Dr. Joachim Bauer - z.B.: 

  • Selbststeuerung: Die Wiederentdeckung des freien Willens, 2015 
  • Arbeit: Warum sie uns glücklich oder krank macht, 2015
  • Warum ich fühle, was du fühlst: Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone, 2006 

Henning Kullak-Ublick: 

  • Jedes Kind ein Könner, 2014
  • Erziehung zur Freiheit - in Freiheit: Aktion Mündige Schule, 2000

Zur Person: Universitäts-Professor Dr. Joachim Bauer

Prof. Dr. Joachim Bauer, geb. 1951, durchlief nach seinem Medizinstudium eine Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin, dann zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, schließlich zum Facharzt für Psychosomatische Medizin. Neben seiner klinischen Ausbildung war Professor Bauer über viele Jahre hinweg in der molekularbiologischen Forschung tätig. Er befasste sich dabei mit den Genen von Immunbotenstoffen, später mit der Genregulation in Gehirnzellen. Für seine Forschungsarbeiten bekam Bauer den renommierten Organon- Forschungspreis der Deutsche Gesellschaft für Biologische Psychiatrie (DGBP) verliehen.

Bauer arbeitet heute als Hochschullehrer und Oberarzt an der Abteilung Psychosomatische Medizin der Universitätsklinik Freiburg (Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Michael Wirsching). Seine Tätigkeitsschwerpunkte als Arzt und Forscher sind Depressionen, Angsterkrankungen, Trauma- Folgekrankheiten, psychosomatische Körperbeschwerden sowie das Burnout- Syndrom. Einen Schwerpunkt seiner Arbeit bilden Fragen der Gesundheitsbelastungen im Lehrerberuf (Burnout bei schulischen Lehrerkräften).

Bauer ist Autor zahlreicher Sachbücher: „Das Gedächtnis des Körpers – Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern“ (Eichborn Verlag und Piper Verlag) beschreibt auf allgemein verständliche Weise den Zusammenhang von zwischenmenschlichen Beziehungen und medizinischer Gesundheit. „Warum ich fühle was Du fühlst – Intuitive Kommunikation und das Geheimnis des Spiegelneurone“ (Heyne Taschenbuch) erklärt die neurobiologischen Grundlagen von Empathie, Mitgefühl und Intuition. "Prinzip Menschlichkeit - Warum wir von Natur aus kooperieren" (Heyne Taschenbuch) beschäftigt sich mit den Grundmotivationen des Menschen. Das Buch "Lob der Schule" (Heyne Taschenbuch) wirft einen kritischen Blick auf unsere Schulen und erläutert die Voraussetzungen für Erziehung und guten Unterricht aus Sicht der Hirnforschung. "Das kooperative Gen" erklärt, warum Gene nicht "egoistisch", sondern "molekulare Kooperatoren und Kommunikatoren" (Bauer) sind. Außerdem wirft dieses Buch einen neuen Blick auf die Evolution und erklärt die Entstehung neuer Arten aus Sicht der modernen Genforschung. Bauers Buch "Schmerzgrenze - Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt" (Blessing Verlag) befasst sich mit den Ursachen menschlicher Gewalt. Sein bislang letztes Werk, "Arbeit - Warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht" (Blessing Verlag) gibt einen Überblick über die Geschichte der menschlichen Arbeit und reflektiert den Wandel der Arbeit unter den Bedingungen der "Kultur des neuen Kapitalismus" (Richard Sennett). Das Buch beschreibt die sich durch die Arbeit für den Menschen auftuenden Chancen und benennt die Kriterien, die darüber entscheiden, ob die Arbeit den Menschen gesund erhält oder krank werden lassen.

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Zur Person: Henning Kullak-Ublick

Henning Kullak-Ublick (* 28. Mai 1955 in Buenos Aires, Argentinien) ist ein deutscher Waldorfpädagoge und Begründer der Volksinitiative Schule in Freiheit.

Er wuchs als Sohn eines Diplomaten in Argentinien, Brasilien, Iran, Sri Lanka, Deutschland und Großbritannien auf und besuchte während seiner Kindheit und Jugend sieben verschiedene Schulen. 1976 legte er das Abitur an der University of London ab. Nach einem Studium der Landwirtschaft in Gießen und Kiel sammelte er praktische Erfahrungen mit der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise in Ostholstein. Das Interesse an der ökologischen Landwirtschaft und an der Direkten Demokratie führte ihn in die Politik: So war Henning Kullak-Ublick 1980 Gründungsmitglied der Partei Die Grünen und später Gründungsmitglied der Organisation Mehr Demokratie.

Von 1981 bis 1984 absolvierte Kullak-Ublick eine Ausbildung zum Waldorflehrer am Institut für Waldorfpädagogik Witten-Annen und wurde Lehrer an einer Waldorfschule in Flensburg.

1994 gründete Kullak-Ublick die Aktion mündige Schule, die sich 1995 mit der schleswig-holsteinischen Volksinitiative „Schule in Freiheit“ für eine Gesetzesreform zur Gleichberechtigung von Schulen in freier und staatlicher Trägerschaft einsetzte. Die Aktion mündige Schule ist ein Vorreiterprojekt direkter Demokratie im Bereich Bildung.

2001 unterbrach Kullak-Ublick seine Lehrertätigkeit, um in einem großen Dienstleistungsunternehmen Praxiserfahrung zu sammeln. Danach kehrte er an die Flensburger Waldorfschule zurück. Im Sommer 2010 entließ er seine vorerst letzte 8. Klasse in die Oberstufe und leitet seither im Rahmen seiner Vorstandstätigkeit im Bund der Freien Waldorfschulen hauptberuflich dessen Arbeitsbereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Er ist Mitherausgeber der Monatszeitschrift „Erziehungskunst“.